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Ich hatte ganz konkrete Vorstellungen davon, wie meine Geburt

verlaufen sollte – und ich wusste sehr genau, was ich auf keinen Fall

wollte, nämlich eine interventionsreiche, fremdbestimmte Klinikgeburt,

wie sie heute leider fast überall üblich ist. Ich will damit nicht sagen, dass

man in der Klinik keine schöne Geburt haben kann, aber meiner Erfahrung nach lässt der Klinikalltag eine Geburt nach meinen Vorstellungen kaum zu. Zu dieser Erkenntnis kam ich zumindest 2009, als ich selbst die Ausbildung zur Hebamme machen durfte. Ich musste allerdings nach anderthalb Jahren abbrechen, da ich mit der Unmenschlichkeit und dem Ton im Kreißsaal nicht zurechtkam. Für mich persönlich war es also unvorstellbar, in einer Klinik zu entbinden, was mir somit die Möglichkeit ließ, entweder im Geburtshaus oderzu Hause zu gebären. Ich entschied mich für Letzteres, da mir eine Geburt zu Hause am entspanntesten, natürlichsten und auch am praktischsten erschien. Leider gibt es nur wenigeHebammen, die auch Hausgeburten anbieten, weshalb ich als Mainzerin den langen Weg nach Guntersblum antreten musste, um Anna, meine liebe Hebamme, kennenzulernen. Die Schwangerschaft verlief unproblematisch und meiner selbstbestimmten Hausgeburt stand somit nichts im Wege. Als Backup wählte ich eine babyfreundliche Klinik, in der mir bestätigt wurde, dass mein Geburtsplan eigentlich nicht nötig sei, da meine Wünsche (kein Dauer-CTG, keinen Zugang legen, keine Rückenlage, Kind selbst hochnehmen, kein Oxytocin nach Geburt, Nabelschnur auspulsieren lassen etc.) zum Standardprozedere gehörten. Ich ging also sehr entspannt und voller Vorfreude in meinen Mutterschutz mit der Gewissheit, dass selbst in der Klinik alles nach meinen Wünschen ablaufen würde. Mit Anna machte ich scherzhaft einen Termin aus, wann die Kleine auf die Welt kommen solle und an besagtem Abend um 22:30 Uhr hatte ich tatsächlich einen Blasensprung. Ich rief Anna an und sie kam direkt vorbei, um mich zu untersuchen. Da der Kopf noch nicht fest im Becken war, musste sie mir raten, weiterhin liegen zu bleiben, da in einem solchen Fall die Gefahr eines Nabelschnurvorfalls besteht.

 

So hatte ich mir das nicht vorgestellt!

 

Denn mein Mann musste nun alles alleine vorbereiten, während ich ans Bett gefesselt war. Mit Anna machten wir aus, dass ich mich melde, wenn die Kontraktionen regelmäßig werden, also vermutlich erst am nächsten Vormittag. Anna hatte auch schon zwei Geburten in den letzten zwei Tagen hinter sich und wir wollten deshalb alle noch ein wenig Schlaf bekommen, bevor unser Babymädchen sich auf den Weg machte. Das Babymädchen hatte aber andere Pläne! Um 2:30 Uhr kamen die ersten Wehen mit einem Abstand von vier Minuten, nach einer halben Stunde lag der Abstand bei nur noch zwei Minuten.

 

So hatte ich mir das nicht vorgestellt!

 

Ich konnte die Wehen kaum veratmen, meine ganzen Affirmationen und Meditationsübungen, die ich in meinem Hypnotbirthing-Buch gelernt hatte, waren wie weggeblasen und ich versuchte nur noch, irgendwie diese Wellen zu überstehen und mich auf die Pausen zu konzentrieren – die leider auch nicht immer kamen. Eigentlich sollte ich weiterhin liegen, aber das war nicht möglich. Ich litt also im Vierfüßlerstand vor mich hin undfand irgendwie einen Rhythmus, indem ich während der Wehen in tiefen Tönen in mein Kissen brüllte. Mein Mann ließ währenddessen das Wasser in den Geburtspool ein, was viel länger dauerte als gedacht. Ich kletterte irgendwann zwischen zwei Wehen in das Becken und mein Mann rief Anna an, ich war mir nämlich sicher, dass diese intensiven Wehen effektiv meinen Muttermund eröffneten und ich brauchte nun ein bisschen professionellen Beistand. Anna machte sich auf den Weg und war – denke ich – so gegen 5 Uhr da. Nach der Untersuchung dann das niederschmetternde Ergebnis: nach diesen Hammer-Wehen war mein Muttermund gerade einen Zentimeter eröffnet.

 

So hatte ich mir das nicht vorgestellt!

 

Mich verließ der Mut. Wie sollte ich das noch 12 Stunden aushalten? Ich war von Anfang an so überrumpelt von der Intensität der Wehen... ich war einfach viel zu schmerzempfindlich. Wie naiv von mir, zu glauben, dass ich eine Geburt ohne Schmerzmittel überstehen würde! Ich, die ja bei jedem Zahnarzttermin eine Spritze verlangt, wenn nur die minimalste Gefahr besteht, dass es weh tun könnte. Ich hatte mich offensichtlich überschätzt und mein Beschluss stand schnell fest: Ich muss sofort in die Klinik und brauche eine PDA, sonst überstehe ich das nicht! Mein Mann packte also meine Kliniktasche und Anna redete mir gut zu, dass es keine Schande sei, an dieser Stelle abzubrechen. Ich fühlte mich dennoch als Versagerin und konnte nicht glauben, wie naiv ich gewesen war. Die Wehen waren so stark, dass ich es kaum noch aushielt. Zudem kam es mir so vor, als löse jede kleinste Bewegung eine weitere Wehe aus. Dementsprechend langsam kamen wir voran. Als wir endlich unten am Auto waren, war es schon hell und zwei Stunden später. Ich fuhr mit Anna vor, mein Mann mit unserem Auto hinterher. Die Fahrt war ein einziger Albtraum! Ich konnte mit den Wehen nun gar nicht mehr umgehen und fühlte einen enormen Druck nach unten. Ich schrienur noch, alle erlernten Atemübungen waren vergessen. Anna versuchte, mich immer wieder zu erden und erinnerte mich daran, tief zu tönen. Das fiel mir sehr schwer, es fühlte sich an, als würde es mich innerlich zerreißen. Um 7 Uhr waren wir in der Klinik. Ich wollte nur noch diese PDA! Oder einen Kaiserschnitt! Mir war alles andere egal, meine ganzen Prinzipien über Bord geworfen.

 

So hatte ich mir das nicht vorgestellt.

 

Doch der schlimmste Teil sollte erst noch kommen. Ich hätte es besser wissen müssen, hatte ich diese Situation doch schon so oft erlebt, nur nicht als Gebärende, sondern als beobachtende Hebammenschülerin. Mir wurde direkt ein CTG angehängt und ein Zugang gelegt. Damit war ich nun ans Bett gefesselt. Ich spürte einen enormen Druck nach unten und das Gefühl, mitschieben zu müssen. Presswehen? In meinem Kopf war ich immer noch erst einen Zentimeter eröffnet. Die diensthabende Hebamme stellte mir währenddessen Fragen zu Medikamenten, die ich vor 10 Jahren genommen hatte und machte unangemessene Kommentare. Ich fühlte mich furchtbar, ich wollte keine unnötigen Fragen beantworten, sondern endlich etwas gegen die Schmerzen! Während zwei Wehen untersuchte sie mich dann endlich: fast vollständig eröffnet! Ich solle aber noch nicht mitschieben. Wer schon einmal Presswehen hatte, der versteht mich bestimmt, wenn ich sage, dass das einfach nicht möglich war. Ich lag also in Rückenlage mit Presswehen in einemBett, nicht sicher, ob das überhaupt ein Kreißsaal war oder nicht doch eher ein Vorzimmer, angeschlossen an ein CTG und irgendeine Infusion, die den Muttermund weicher machen sollte. Die diensthabende Hebamme war wenig begeistert von unserem Erscheinen und ließ uns das auch jede Sekunde spüren. Ich hätte heulen können!

 

So hatte ich mir das ganz sicher nicht vorgestellt!

 

Zum Glück waren mein Mann und Anna bei mir, sonst wäre die Situation unerträglich gewesen. Ich war mit meinen Kräften am Ende, wollte aber unbedingt in einer anderen Position gebären. Mir wurde also in den Vierfüßlerstand geholfen. Die Kabel störten mich hierbei zwar, aber mir ging es trotzdem viel besser in dieser Position, da ich mir nicht mehr so ausgeliefert vorkam. Deswegen fand ich es so demotivierend, als die diensthabende Hebamme mich nach kurzer Zeit wieder zurück in die Rückenlage beförderte. Sie gab mir ständig das Gefühl, alles falsch zu machen, nicht richtig zu pressen, und es schien ihr alles nicht schnell genug zu gehen. Dabei waren die Herztöne meiner Kleinen super und es gab auch sonst keinen Grund zur Eile. Ich versuchte, zu mir selbst zu finden, hielt dabei die ganzeZeit meine Hand am Köpfchen meines Kindes, was mir half, in die richtige Richtung zu pressen. Während der Wehenpausen konzentrierte ich mich darauf, das Köpfchen nicht wieder zurückrutschen zu lassen, was mir auch gelang, bis mich die Hebamme anfasste – und das tat sie ständig. Sie brachte mich damit aus meinem Konzept und ich hatte den Eindruck, nach jeder Wehe von vorne beginnen zu müssen. Das sah sie wohl auch so und meinte, für den Endspurt solle ich nun in die tiefe Hocke, was meine Kräfte kaum noch zuließen. Aber ich wollte auf keinen Fall in Rückenlage bleiben, also stimmte ich zu und kam mit Hilfe in diese Position. Das Köpfchen kam nun ganz schnell Richtung Ausgang und das Brennen am Damm war sehr stark. Die Klinikhebamme meinte ständig, ich solle kräftig und lange pressen, über das Brennen hinaus. Sie meinte allerdings auch, dass ich reißen würde, da mein Damm sehr gespannt sei. Dieser Kommentar hemmte mich komplett. Ich hatte natürlich damit gerechnet, dass ich reißen würde, aber so wie sie es formulierte, sah ich mich schon mit einem Dammriss vierten Grades nach Hause gehen. Das wollte ich nicht! Alsopresste ich nur noch halbherzig. Es dauerte ein paar Wehen, bis ich mich selbst soweit überzeugt hatte, dass es nichts bringe, mich jetzt zurückzuhalten und dass ich da nun mal durchmüsse. Also presste ich wieder mit aller Kraft. In dem Moment, in dem das Köpfchen dann heraustrat, war ich so überrascht und konnte es kaum glauben! Ich wusste, das Schlimmste war nun vorbei und ich würde mein Kind gleich im Arm halten können! Die Zeit bis zur nächsten Wehe schien nicht zu vergehen. Dann spürte ich nochmals einen enormen Pressdrang und die Kleine erblickte das Licht der Welt, genau zwei Stunden, nachdem wir in der Klinik eingetroffen waren! Was für ein unglaublicher Moment! Ich griff intuitiv nach meinem Kind, um es auf meine Brust zu legen, aber auch diesen Moment verdarb mir die diensthabende Hebamme, indem sie mich schroff anfuhr, ich solle vorsichtig und nicht so schnell sein. Ich schaute sie nur perplex an und nahm mein Kind an meine Brust.

 

So hatte ich mir das nicht vorgestellt.

 

Ich wollte auch bald das erste Mal anlegen, musste aber erst noch das routinemäßige Oxytocin ablehnen, das helfen sollte, die Plazenta zu lösen. Ich fragte vorher Anna, ob das nötig sei. Ich war auch so durch den Wind! Zum Glück war Anna dageblieben! Sie gab mir zu verstehen, dass es nicht nötig sei. Ich verzichtete also auf das Oxytocin und ließ meinem Körper die Zeit, die er brauchte. Nach einer Viertelstunde wurde die Klinikhebamme aber ungeduldig und wollte die Plazenta nun lösen. Sie zog ein wenig daran, woraufhin sie auch sofort kam. Gezeigt wurde mir die Plazenta leider nicht, was ich im Nachhinein wirklich schade finde. In dem Moment war ich allerdings mit anderen Dingen beschäftigt – ich hatte schließlich das größte Wunder in meinen Armen! Anschließend wurde mein Riss noch versorgt und ich fragte direkt, wann wir gehen könnten. Ich wollte nicht länger als nötig in dieser Klinik bleiben! Anna verabschiedete sich bald nach der Geburt. Ich sagte ihr, wie unendlich dankbar ich ihr sei, dass sie mich in diesem Moment mit ihrer Anwesenheit noch unterstützt habe. Zu wissen, dass man in so einem Umfeld nicht alleine ist, hilft ungemein! Das gilt natürlich auch für meinen Mann, der zwar – genau wie ich – mit der Situation überfordert war, aber mir durch seine Anwesenheit und seine Worte Mut gegeben hatte!

 

Nachdem mein Mann unzählige Formulare unterschrieben hatte, durften wir ca. fünf Stunden nach der Geburt endlich nach Hause. Anna kam am nächsten Tag direkt vorbei und wir sprachen über die Geburt. Es flossen viele Tränen, da ich mich so unfassbar schwach und überrumpelt gefühlt hatte. Anna hat es aber geschafft, dass ich eine ganz andere Sichtweise auf die Situation bekommen habe, in der ich nicht ausgeliefert war, sondern versucht habe, meine selbstbestimmte Geburt einzufordern. Ich fand es anstrengend, gegen die Klinikroutine ankämpfen zu müssen, besonders in meiner so verletzlichen Position als Gebärende mit Presswehen. Auch deshalb bin ich sehr froh darüber, dass Anna mit in der Klinik geblieben ist, ich sah in ihr eine Verbündete, die die Situation genauso wie ich erlebte. Wir haben noch ein paar Male über die Geburt gesprochen und jedes Mal hat Anna mich wieder aufgebaut.

 

So stelle ich mir eine gute Hebamme vor!

 

Fazit: Im Nachhinein ist es natürlich sehr schade, dass ich den Entschluss gefasst hatte, in die Klinik zu gehen. Hätte ich gewusst, dass meine Kleine innerhalb von zwei Stunden kommen würde, wäre ich natürlich zu Hause geblieben, was uns viel Stress erspart und mir meine Traumgeburt beschert hätte. Aber das konnte natürlich keiner ahnen. Leider hat sich so mein negatives Bild über die Klinikgeburt bestätigt, was natürlich auch daran liegt, dass die diensthabende Hebamme sehr ungeduldig war und wir einfach nicht auf einer Wellenlänge lagen. Umso schöner ist es zu wissen, dass man heutzutage noch die Möglichkeit hat, zu Hause oder im Geburtshaus zu gebären. Ich würde mich jederzeit wieder für eine Hausgeburt entscheiden! Also, liebe Anna, sollten wir uns wider Erwarten für ein zweites Kind entscheiden, hoffen wir, dass du wieder unsere Hebamme sein wirst! :)

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